Aus 2 mach 3
Sie lesen Ratgeber, reden mit Müttern, Vätern, Freunden und schmieden eigene Pläne. Dann kommt das Baby zur Welt – und alles ist anders.
Werdende Eltern wissen, dass sich ihr Alltag ändern wird, sie wissen, dass die Nächte kurz und die Windeln voll sein können. Und doch kann sie diese Theorie im Vorfeld nur bedingt auf ihre tatsächlichen Gefühle vorbereiten. „Wenn aus Paaren Eltern werden, dann müssen sie sich erst einmal in dieser völlig neuen Situation einfinden“, weiß Katharina Sentker, Diplom-Psychologin und Mutter. „Jeder muss seine neue Rolle in der Familie finden, der Alltag bekommt eine ganz neue Struktur, das Baby weckt ungeahnte Gefühle – von unermesslicher Liebe bis hin zu den Ängsten, etwas falsch zu machen oder auch Ärger, wenn man übermüdet mit einem schreienden Baby auf dem Arm durch die Wohnung läuft. Jeder Mensch ist anders und erlebt diese erste Zeit ganz unterschiedlich.“ Umso wichtiger sei es, sich dieses unterschiedliche Empfinden auch bewusst zu machen und Verständnis für den anderen zu zeigen. Also:
REDET MITEINANDER
„Gute Kommunikation ist immer wichtig, besonders in solchen, Ausnahmesituationen. Nur wenn ich weiß, was in dem anderen vorgeht, kann ich angemessen reagieren“, erklärt die Expertin. Die Stimmung kann durch Schlafmangel, Hormonschwankungen und Unsicherheiten sowieso leichter angespannt sein. Deswegen ist es wichtig, dass Mama und Papa füreinander da sind. „Auch wenn sie den anderen manchmal nicht sofort verstehen.“ Frauen sind nach einer Geburt körperlich und mental extrem gefordert. Manche sind ganz beseelt, andere leiden sehr unter den Schwankungen des Hormonhaushaltes oder den Schmerzen nach der Geburt. „Da ist es besonders wichtig, dass der Partner ihnen seine Unterstützung und Liebe zeigt.“ Und natürlich sind auch die Männer tief bewegt und beschäftigt mit ihrem Erleben. „Die kleine Familie muss sich erst einmal kennenlernen, das dauert bei jedem unterschiedlich lange.“
GÖNNT EUCH EUER WOCHENBETT
Deswegen ist die Psychologin auch Fan des sprichwörtlichen „Wochenbetts“: „Es heißt nicht umsonst so. Die ersten Wochen dürfen ganz der neuen Familie gewidmet sein. Wenn Mama, Papa und Baby sich zuhause einigeln möchten, sollen sie das bitte ganz ohne schlechtes Gewissen tun. Freunde und Familie müssen da einfach mal warten.“ Und wer sein Glück am liebsten sofort mit allen teilen möchte, kann auch das machen: „Hauptsache, es geht allen gut dabei: Mutter, Vater und Kind. Manchen Babys wird der Trubel schnell zu viel, anderen nicht.“ Auf jeden Fall sollten die frischen Eltern nicht zu stolz sein, ihre eigenen Grenzen aufzuzeigen oder auch Hilfe anzunehmen: Sagt also Verabredungen ab, wenn Euch der Sinn nicht nach Gesellschaft steht, lasst Euch bekochen und den Einkauf erledigen, wenn Ihr die Möglichkeit habt.
STRESST EUCH NICHT MIT DEM HAUSHALT – GENIEßT
„Diese Zeit ist so wertvoll, falsche Ansprüche an sich selbst sind da fehl am Platz“, weiß Sentker. „Sofort nach der Geburt Freunde und Verwandte zu selbstgebackenem Kuchen in eine blitzblanke Wohnung einladen zu müssen, ist einfach Quatsch.“ Und die anderen freuen sich auch drei Wochen später noch über eine Einladung. Mit gekauftem Kuchen und schmutzigen Fenstern. „Achtet auf Euch und Euer Baby – das ist am Anfang wirklich genug. Irgendwann findet jeder die passenden Strukturen, um den neuen Alltag zu meistern.“
MAMA, PAPA, LIEBENDE
Natürlich steht das Baby am Anfang ganz im Mittelpunkt. „Das ist auch vollkommen ok. Allerdings braucht jeder Mensch auch Zeit für sich – und Eltern sind nicht nur noch zum Versorgen auf der Welt – sie sind immer noch ein Paar.“ Auch wenn die Zeit ein wenig knapper wird, können sich Mama und Papa, wenn das Baby schläft, ganz bewusst zu kleinen Rendezvous einfinden. Und wenn das Kind einfach nicht schlafen will? „Nicht verzagen und darauf vertrauen: Das bleibt nicht so“, weiß Sentker – wie jede Mutter. Denn nichts ändert sich schneller als das Leben mit einem Kind. Irgendwann schlafen sie durch und haben süße Träume, kommen in den Kindergarten und haben Bauchweh, gehen in die Schule und haben Liebeskummer, ziehen zuhause aus und haben die Herzen von Mama und Papa im Gepäck.
Unsere Expertin
Katharina Sentker ist 34 Jahre alt. Sie arbeitet als Diplom-Psychologin in einer akutpsychosomatischen Klinik in Bad Wildungen und in der AWKV in Marburg. Sie hat einen fast zweijährigen Sohn und geht im Dezember in Mutterschutz: Das zweite Kind kommt bald zur Welt. Aber das ist eine andere Geschichte ...
Aus dem Leben
Marion, 38: Ich hätte nie gedacht, dass die Hormone mich so aus den Socken hauen würden. Am dritten Tag nach der Entbindung bin ich mit Baby und Mann nach Hause gekommen, alles war super. Dann haben wir im großen Familienkreis mit Schwiegereltern und Schwagerfamilie zu Mittag gegessen. Ich wollte meinen Sohn im Nebenzimmer stillen, da kamen auf einmal alle hinterher gedackelt. Und – welch Überraschung – es hat natürlich nicht geklappt. Da war es dann bei mir vorbei, ich hab mich mit Baby in unsere Wohnung verzogen und geheult. Gefühlte zwei Wochen lang. Wenn wir mit dem Kinderwagen die Straße überqueren wollten, hab ich aus Angst vor den Autos geheult. Wenn wir Leute besuchen wollten, hab ich mir einen solchen Druck gemacht, dachte, die beurteilen mich ständig, sehen mich als schlechte Mutter. Es war schlimm, mein Mann konnte das nur teilweise nachvollziehen. Wenn er unseren Sohn genommen hat, um mich eigentlich zu entlasten, fühlte ich mich schlecht, ich konnte die beiden auch nicht allein losziehen lassen, konnte mein Kind nicht allein lassen, auch wenn ich hundemüde war. Am liebsten hätte ich mich einfach mit Kind und Mann verkrochen. Im Rückblick kann ich nicht mehr verstehen, warum ich das nicht getan habe. Ich war unglaublich verletzlich.
Karsten, 30: Vor unserem Kind waren wir nur für uns selbst verantwortlich, konnten immer das machen, worauf wir Lust hatten. Als dann unser Sohn zur Welt kam, ich diese Verantwortung für einen anderen Menschen gespürt habe, war das wunderschön und beängstigend zugleich. Für meine Frau und mich waren die ersten Monate, eigentlich fast bis zum zweiten Geburtstag, allerdings eine echte Belastungsprobe. Ich hatte viel Stress an der Arbeit, sie hätte sich mehr Unterstützung zuhause gewünscht, vor allem als sie wieder anfing, auch zu arbeiten. Es ist viel an ihr hängen geblieben, ich dachte immer: Du musst doch nicht arbeiten gehen. Es war oft ein Streitthema. Mittlerweile verstehe ich, dass sie nicht „nur Hausfrau und Mutter“ sein möchte, ich bin allerdings auch kein Hausmann. Nach vielen Diskussionen haben wir einfach eine Putzhilfe angestellt, das war eine gute Entscheidung.
Manuela, 34: Als ich schwanger war, habe ich komplett auf Süßigkeiten und zum Beispiel auch geräucherten Schinken verzichtet. Als Joshua geboren war, sind wir sofort zum Supermarkt, haben Un mengen an Käsekuchen und Schinken gekauft. Das waren dann zwei Wochen lang meine Grundnahrungsmittel. Göttlich!
Alexander, 56: Mein Sohn kam zwei Wochen zu früh zur Welt, es war ein Kaiserschnitt, bei dem ich nicht dabei sein durfte. Das war schlimm. Ich konnte nur machtlos warten. Dann musste er zwei Wochen lang in den Brutkasten, meine Frau lag auf einer anderen Station und ich rannte immer hin und her, musste mich um alles kümmern, auch als wir zuhause waren, ging es meiner Frau noch nicht so gut, sodass ich die Nachtschichten allein übernommen habe. Er war so klein und zerbrechlich – und ich war total dünnhäutig, ständig den Tränen nahe.
Claudia, 36: Die ersten zwei Wochen hätten wir unsere Tochter einfach ununterbrochen anschauen können. Wir lagen viel im Bett und haben gekuschelt. Das war auch genau richtig so. Wir mussten diesen kleinen Menschen doch erst mal kennenlernen. Heute ist sie schon 3 Jahre alt und die Zeit ist verflogen.
Lisa, 28: Bevor unser erstes Kind zur Welt kam, waren mein Freund und ich total gleichberechtigt. Wir haben beide gearbeitet, uns den Haushalt aufgeteilt und auch mal was alleine mit unseren Freunden unternommen. Mit unserer Tochter Nele hat sich das ziemlich geändert, ich bin das erste Jahr zuhause geblieben, war also für Kind und Haushalt zuständig, Klar, dafür war ich ja zuhause. Als ich wieder anfing zu arbeiten, blieb das erst mal so, das hat mich zunehmend frustriert, mein Freund hat das gar nicht richtig gecheckt, bis ich mal explodiert bin. Ich würde jedem raten, das zu thematisieren, damit es erst gar nicht so weit kommt.
Martin, 32: Ich habe mich am Anfang kaum getraut, meinen Freunden, die so müde vor mir saßen, weil ihr Baby sie nachts auf Trab hält, zu erzählen, dass unser Sohn schon mit 3 Monaten anfing durchzuschlafen. Das war einfach herrlich, wir konnten ihn auch problemlos abends irgendwohin mitnehmen, er konnte überall schlafen, war total pflegeleicht. Jetzt ist er fast drei und entdeckt seinen sehr eigenen Kopf. Und ich sitze vor meinen Freunden und erzähle, wie anstrengend das manchmal ist, während ihre Sprösslinge so unglaublich wohlerzogen wirken und mein Sohn schreiend die Katze verhauen will. Aber natürlich kann gar nichts etwas daran ändern, wie sehr ich unseren kleinen Rabauken liebe. Und diese Katze ist auch wirklich nervig :)
Die Geschichten sind echt – die Namen von der Redaktion geändert.
Wollt auch Ihr Eure Erfahrungen und Gefühle als Eltern teilen?
Dann schickt uns gerne eine Nachricht an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Wir veröffentlichen Eure Baby-Geschichten an dieser Stelle.
Von Katharina Stenner
Fotos: Adobe Stock © kieferpix, © Boggy, © Simon Dannhauer